Deine Wahrheit, meine Wahrheit

(Auszug aus dem Buch " Yoga hilft der Partnerschaft", Evelyn Horsch-Ihle, Via Nova Verlag)

 

Wir alle suchen also nach Liebe! Wie diese aber zu uns kommen soll, wie wir lieben wollen und geliebt werden wollen, das unterscheidet sich doch sehr von Mensch zu Mensch. Am Anfang der Beziehung geschieht dies fast auf magische Weise. Kaum aber ist ein Paar länger zusammen, zieht vielleicht gar in eine Wohnung, dann zeigen sich diese Unterschiede, unausweichlich. Es gibt Missverständnisse, latenten Ärger, Unzufriedenheit, bei einem oder bei beiden Partnern. Und nach und nach nimmt der Glanz der ersten Liebe ab. Deshalb spricht man von der „rosaroten Brille“ am Anfang einer Beziehung und meint, dass diese im Laufe der Zeit verschwindet, sodass man dann den Partner erst so sehen könnte, wie er oder sie wirklich ist.

 

 

 

Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Denn wenn wir länger zusammen sind, dann nehmen wir nicht die „rosarote Brille“ ab, sondern wir setzen unsere eigene „Ego-Brille“ auf. Was bedeutet, wir beginnen, den anderen nicht mehr in seinem wahren Wesen zu erkennen, sondern ihn oder sie durch unsere eigene Brille zu sehen und zu beurteilen – und die ist meist ziemlich verzerrt. Wir beginnen nämlich, aufeinander zu reagieren – auf bestimmte Signale, auf bestimmte Worte, auf bestimmte Handlungen. Diese interpretieren wir dann auf unsere Weise, so, wie wir es gewohnt sind – und meinen, das müsse doch die Wahrheit sein. Ist es auch. Aber nur unsere eigene Wahrheit. Und keineswegs die des Partners.

 

 

 

                                                   

 

Übung:

 

 

 

Setzen Sie sich beide mit einem Blatt Papier hin und schreiben Sie oben auf die Seite: Wie ich dir meine Liebe zeige.  Darunter schreiben Sie all das, was Ihnen einfällt, all die kleinen und die großen Dinge, mit denen Sie Ihre Liebe zeigen. Dass Sie daran denken, welchen Käse er oder sie mag, dass Sie morgens aufstehen und ihm oder ihr den Kaffee ans Bett zu bringen. Dass Sie vielleicht darauf achten, den billigsten Stromanbieter zu finden. Oder abends wirklich früh nach Hause zu kommen, obwohl Ihr Chef dann ein langes Gesicht zieht. Dass Sie mitkommen zu seiner oder ihrer Familie, wenn Festtage sind, obwohl Sie sich manchmal wirklich überwinden müssen. Und, und, und....

 

 

 

Auf die Rückseite Ihres Blattes schreiben Sie: Wann ich mich von dir geliebt fühle. Und darunter schreiben Sie all die kleinen und großen Momente, in denen Sie diese Liebe spüren. Oder gerne spüren würden.

 

 

 

Und dann, einen Tag später oder noch am selben Tag, setzen Sie sich zusammen und lesen sich gegenseitig erst die eine Seite des Blattes vor und dann die andere, abwechselnd, jeder immer einen Punkt. Achten Sie dabei auf Ihre Gefühle – und Ihre Gedanken. Es kann sein, dass Sie ganz glücklich werden bei dieser Übung. Weil Sie merken, wie oft Sie geliebt werden, jeden Tag. Es kann aber auch sein, dass Sie merken,  wie selten Ihre Art, Ihre Liebe zu zeigen, zu dem passt, was der Partner unter Geliebt-Werden versteht. Und umgekehrt. In jedem Fall können Sie viel erfahren über den Partner – vor allem über seine Wünsche und Sehnsüchte. Das kann ein wichtiger Anfang für Sie sein, ihn oder sie ganz neu zu sehen.

 

 

 

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Wenn Paare zu uns in die Beratung kommen, dann sagen sie deshalb meist, sie hätten „ein Kommunikationsproblem“. Was bedeutet, dass sie meist unterschiedlicher Meinung über das sind, was sich zwischen ihnen abspielt. Und jeder Partner glaubt, wenn der oder die andere die problematischen Situationen so sehen könnte, wie er oder sie es selbst sieht, dann müsste doch alles in Ordnung sein. Wir als Berater sollen also dem jeweiligen Partner oder der Partnerin beibringen, wo er oder sie die ganze Sache doch falsch sieht, damit er seinen Irrtum korrigieren und das Paar wieder glücklich sein kann.

 

 

 

Natürlich müssen wie oft „übersetzen“, was ein Partner wirklich meint und fühlt. Aber nicht, weil der andere etwas „falsch“ sieht. Sondern weil Paare viel Zeit damit verbringen, verzweifelt dem anderen die eigene Sicht der Dinge nahezubringen, um wirklich verstanden zu werden. Da dies aber gleichzeitig beide Partner tun, ist dann niemand mehr da, der wirklich verstehen kann. Sondern nur zwei, die nicht verstanden werden. Wir müssen also Paaren als erstes nahebringen, dass der andere wirklich „anders“ ist – mit einer anderen Welt, in der er sich bewegt, einer anderen Sprache, einer anderen Sichtweise auf Dinge, Menschen und Situationen.

 

 

 

Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, ist aber eine der schwersten – und wichtigsten - Erkenntnisse , die man in einer Partnerschaft haben kann. Denn nach der ersten Phase der Verliebtheit setzt bei jedem der Partner das alte Muster seines Lebens wieder ein – und jeder zeigt sich dem anderen mit all den Wunden, den Bewältigungsmustern, den fehlgeleiteten Hoffnungen und auch der ganzen Härte seiner Lebenserfahrungen. Ob nun einer der Partner gelernt hat, sich abzuschotten, weil in seinem Elternhaus die Eltern dauernd gestritten haben und deshalb jedes Mal das Haus verlässt, wenn Streit droht, ob einer anderer sich gegen die wohlgemeinten Übergriffe einer besorgten Mutter zur Wehr setzen musste und heute deshalb nicht „zuhört“, wenn der Partner „Ansprüche“ stellt, ob ein Partner gelernt hat, möglichst nur für andere da zu sein und nichts für sich zu wollen und so den anderen ständig ins Unrecht setzt, oder ob ein anderer unbedingt Karriere machen m u s s, weil er oder sie meint, nur so wertvoll und wichtig zu sein – jeder von uns bringt in die Partnerschaft das mit, was man „die eigene Wahrheit“ nennen kann. Und diese Wahrheit trifft dann auf die Wahrheit des anderen – in der eine ganz eigene Sprache, ganz eigene Tonfälle, ganz eigene Interpretationen gelten.

 

 

 

Passen Paare deshalb dann überhaut zusammen? Tatsächlich gehen viele Partnerschaften auseinander, weil die Liebenden an eben dieser Unterschiedlichkeit scheitern. Tatsächlich aber gibt es niemanden, der auf Dauer zu einem „passt“. Sondern nur jemanden, den man wirklich lieben lernen kann – genau wie sich selbst. Nicht, indem man die Augen verschließt für seine oder ihre Fehler, nicht, indem man versucht, sich so zu anzupassen, dass es möglichst keine Konflikte gibt,  nicht,  indem man auf sein eigenes Glück verzichtet und sich einredet, dass sei eben die „Liebe“. Sondern indem man erkennt, dass Partnerschaft wirklich Heilung bedeuten kann. Heilung für sich und für den anderen, Heilung von all den Mustern, die man einmal für sich eingerichtet hat, um nicht so verletzlich zu sein. Heilung von den Überzeugungen von sich und der Welt, Heilung auch an all den Punkten, an denen man sich zu verlieren scheint und an denen man sich letztlich selbst noch nicht liebt.

 

 

 

Denn wir haben alle gelernt zu hoffen, auf eine bestimmte Weise Liebe, Anerkennung, Bestätigung zu finden – aber nur deshalb, weil wir alle Wunden der Liebe in uns tragen. Wunden, weil wir nicht wirklich glauben, wertvoll zu sein, liebenswert zu sein, richtig zu sein. Wir hoffen deshalb, wenn wir uns nur in einer bestimmten Weise verhalten, dann müsse der andere uns doch das geben, was wir uns so mühevoll verdient haben. Deshalb sind wir auch so unglaublich enttäuscht, wenn genau dies nicht passiert, denn wir haben uns doch so bemüht, uns so angestrengt, so viel gegeben!

 

 

 

Spirituell betrachtet versuchen wir damit jedoch, unseren Partner in unsere Welt des Ich, des Ego, hineinzuziehen. In unsere Interpretationen, in unsere Sichtweisen, in unser Skript vom Leben, in unseren „Schmerzkörper“. Nicht bewusst, nicht in böser Absicht – sondern weil wir auf Heilung durch den Partner hoffen. Genau das geschieht auch – aber ganz anders, als wir es gedacht hätten. Denn gerade die Weigerung unseres Partners, uns das zu geben, was wir zu brauchen meinen, bringt uns in Kontakt mit dem, was wir niemals mehr fühlen wollten – und was uns das Tor zu unserer wirklichen Heilung öffnen kann. Wenn wir bereit sind, uns auf uns selbst – auf die Erkenntnis unseres Selbst und unserer Muster - einzulassen, mit allem Mitgefühl, aller Barmherzigkeit und aller Wertschätzung – dann können wir einen Weg durch die Irrwege unseres Ego finden - und letztlich davon frei werden.

 

 

 

Das ist das große spirituelle Geschenk der Partnerschaft und der Liebe – und ihr erster Schritt besteht darin, aufzuhören, den anderen in die eigene Wahrheit hineinziehen zu wollen. Zu erkennen, dass das, was der andere tut und fühlt, keineswegs das ist, was wir daraus machen. Aufzuhören, Schubladen zu öffnen und den anderen hineinzustecken. Sondern annehmen zu lernen, was man in sich selbst fühlt und spürt – und was der andere spürt und fühlt. Im achtsamen Bewusstsein, dass dies die erste Schicht des Ego überwinden kann – das Gefangensein in Vorstellungen und Interpretationen über sich selbst und über den anderen.